Das Konzept der Menschenwürde spielt für Männerangelegenheiten eine zentrale Rolle: Entsorgte Väter z.B. beklagen die Verletzung ihrer Menschenrechte und verlangen eine Korrektur im Sinne ihrer Menschenwürde, Männer halten das rechtliche Phänomen der Zwangsvaterschaft für einen Verstoß gegen ihre Menschenwürde und auch Frauen wie Feministinnen stehen in spezifischer Weise mit der Menschenwürde auf Kriegsfuß, da sie im Fall der Abtreibung eine Hierarchie von Menschenrechten befürworten, nach der das Recht des Embyros auf Leben dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung nachsteht. Vom humanistischen Standpunkt aus ist es daher wesentlich, zu klären, wie Menschenrechte zu rechtfertigen sind, wem Menschenwürde in welchem Umfang zukommt und ob eine Hierarchie von Menschenrechten mit einem gültigen Konzept von Menschenwürde überhaupt vereinbar ist.
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I. Menschenwürde als zentrales Thema im Humanismus
Um die Rolle des Begriffs der Menschenwürde für das humanistische Selbstverständnis zu erfassen, muß man sich lediglich den gegenwärtigen Entwicklungsstand des analytischen Humanismus vor Augen halten:
- a) Atheismus: Es gibt keinen über-empirischen Akteur, der das Leben und das Schicksal der Menschen leitet – die Menschen sind frei.
- Die Konsequenz ist, daß sich der analytische Maskulismus zu einer Naturalisierung mentaler Phänomene bekennen muß.
- Die zweite Konsequenz ist, daß das Verbot von Demütigungen und Verletzungen der Selbstachtung für jede mit dem analytischen Humanismus kompatible normative Ethik eine zentrale Rolle spielt.
- Die dritte Konsequenz ist eine tiefverwurzelte Metaphysikskepsis, die einmal die Hauptlast im Kampf gegen den für die Männerbewegung politisch äußerst schädlichen Biologismus tragen wird.
- b) theoretischer Humanismus: Freiheit bedeutet Handeln aus Gründen.
- Die Folge ist, daß sich der analytische Humanismus auf einen positiven Freiheitsbegriff einläßt.
- Die zweite Folge dieser Position ist der humanistische Antifeminismus als Eckpfeiler des später zu definierenden analytischen Maskulismus ist.
- Die dritte Folge ist, daß der sich der analytische Humanismus – genau wieder der Feminismus – darauf festlegt, daß der harte Determinismus und der Inkompatibilismus von Freiheit und Determinismus falsch sind.
- c) ethischer Humanismus: Würde bedeutet Handeln in Freiheit.
- Damit muß der analytische Humanismus eine normative Ethik entwickeln, die auch Gestaltungsrechte und nicht nur Abwehrrechte addressiert.
- Und zweitens ist der analytische Humanismus auf eine universalistische normative Ethik verpflichtet, relationale oder narrative Ethiken, wie sie im Feminismus präferiert werden, abzulehnen.
- d) nicht-normativer, kontextfreier und universalischer Autonomiebegriff: Freiheit bedeutet für jeden Menschen immer zwangloses Handeln aus eigenen Gründen.
- Der analytische Humanismus muß daher erklären, wie man eigene Gründe von fremden Gründen unterscheidet.
- Weil die Achillesferse jedes Feminismus darin besteht, nicht genau zu wissen, unter welchen Bedingungen die vom atheistischen Existenzialismus ererbte, metaphysische Freiheit verloren geht, trägt die Theorie personaler Autonomie im analytischen Humanismus die Hauptbegründungslast, des aus dem theoretischen Humanismus vorhergesagten humanistischen Antifeminismus.
- e) Aufklärung: Freiheit wächst mit dem Wissen über Möglichkeiten, aus Gründen zu handeln.
- Damit legt sich der analytische Humanismus darauf fest, angeben zu können, welches Wissen über eigene Gründe personale Autonmie und damit positive Freiheit verschafft.
- Zugleich legt sich der analytische Humanismus fest auf das Paradigma der Moderne i.e. die Verwendung der Begriffe von Wahrheit und Objektivität sowie die Ablehnung des Konstruktivismus (der eigentlich ein epistemischer Relativismus ist).
- Die wesentliche, mit Aufklärung verbundene Neuerung besteht darin, der eigenen Verantwortung eine neue Rolle bei der Entstehung von Freiheit zu zuweisen: Während die metaphysiche Freiheit im Feminismus mit dem Wesen des Menschen verbunden und nur beschränkt oder verloren werden kann, muß sie im analytischen Humanismus fortwährend dem menschnlichen Unverständnis entrissen und verteidigt werden – was eine wesentliche Rolle für Geschlechterkonflikte spielt.
- f) semantischer Aufstieg: Handlungsgründe sind im ontologischen Sinne keine Handlungsursachen und sie verursachen auch keine Handlungen.
- Die Folge ist ein Handlungsbegriff, der an die Sprache und damit an seine Verwendung in Handlungserklärungen gekoppelt ist.
- Die andere Folge besteht darin, daß für den analyischen Humanismus unvermeidliche Naturalisierung nur nicht-reduktionistische Theorien darüber zugelassen sind, wie das Gehirn den Geist erzeugt.
- Zugleich legt sich der analytische Humanismus damit auf einen Antibiologismus und Antiephiphänomenalismus fest.
- g) epistemischer Handlungsbegriff: Handlungen sind keine Ereignisse, sondern dreistellige Relationen zwischen einer sozialen Rolle von Akteuren, Veränderungen und Gründen, so daß dort gehandelt wird, wo verstanden wird, daß jemand seine Freiheit benutzt, um die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß etwas geschieht.
- Die erste Konsequenz ist, daß die Alltagspsychologie den Status einer soziale Kompetenz bekommt, während die Psychologie eine Naturwissenschaft bleibt.
- Die zweite Konsequenz ist, daß mit Typen von Handlungserklärungen auch Typen von Handlungen enstehen – was später einmal die Speerspitze der Männerbewegung im Kampf von Sexismus und Objektifizierung der Männer durch die Frauen sein wird und gegenwärtig die MGTOW-Bewegung befeuert.
- h) positiver Freiheitsbegriff: Wenn nur Wissen über die eigenen Möglichkeiten zu Handlungsgründen frei macht, aber nur dort gehandelt wird, wo verstanden wird, daß jemand die Verantwortung für ein Geschehen übernehmen will, dann trägt zwar seine negative Freiheit als Menge von Abwehrrechten mit sich herum, aber positive Freiheit wird mit Hilfe anderer Personen erzeugt.
- Die Folge ist, daß der analytische Humansmus Sartres ursprüngliche Idee über die Mitwirkung anderer bei der Entstehung von Freiheit korrigiert – occupy feminism.
- Damit kann man erstmals Geschlechterrollen empirisch definieren, denn sowohl im Feminismus als auch im Biologismus ist die Geschlechterrolle eine Deutung der Empirie: Eine Geschlechterrolle besteht nicht in Erwartungen, Zielen, Zwecken, Normen, sondern darin, die Handlungsidentität nach biologischem Geschlechtern zu variierren – was in der Praxis manchmal irreführenderweise „Doppelstandard“ genannt wird.
- i) nicht-reduktiver Physikalismus als Folge des Athismus: Es gibt keine direkte Verbindung zwischen einzelnen zerebralen und einzelen intentinoalen Zuständen.
- Die Folge ist, daß Wünsche keine Dispositionen sein können. Stattdessen ist die Alltagsspychologie keine Beschreibung der Aktivitäten des Gehirns, sondern sie erweißt sich als eine empirisch-normative Theorie zur Charakterisierung von Personen.
- Wer Eigenschaften von Personen als Eigenschaften von Gehirnen aufzufaßt – und nur das erlaubt eine Art „Durchdrücken“ evolutionärer oder biologischer Strukturen in die mentalen Inhalte – der vollzieht den berüchtigten, mereologischen Fehlschluß.
Zu schätzen, daß etwa 2/3 des konzeptionellen Aufwandes im Humanismus der Menschenwürde zu verdanken sind, ist daher sicher eher eine Untertreibung. Über Menschenwürde sind bisher aber nur drei wesentliche Punkte bekannt:
- (A) Sie wurzelt in dem zum Moralerbe der Menschheit gehörenden Demütigungsverbot und erzeugt den theoretischen und den ethischen Humanismus.
- (B) Menschenwürde hat Menschenrechte zur Folge.
- (C) Menschenwürde geht darauf zurück, daß die Menschen sich wechselseitig als Moralsubjekte ernst nehmen und zwar nicht nur in Bezug auf die höchstpersönlichen Belange, sondern auch im Hinblick auf die Fähigkeit zur moralischen Rücksichtnahme auf andere, gleichgestellte Moralsubjekte. Der besondere moralische Status, den Menschen als biologische Gattung haben, ist der, anderen Menschen einen moralischen Status in einer Gesellschaft überhaupt erst verleihen zu können. Die Pointe an der Menschenwürde ist daher, diejenigen Moralakteuere zu schützen, die die tragenden Elemente in allen konkret formulierten Moralsystemen einer möglichen Gesellschaft sind.
Testen wir als nächstes, ob dieses humanistische Verständnis von Menschenwürde mit anderen in Rechtswissenschaft und Philosophie etablierten Theorien über die Begründung von Menschenrechten verträglich ist.
II. Menschenwürde und Menschenrechte
Menschenrechte hängen – wie so gut wie alles im Völkerrecht – davon ab, daß die Staaten sich über sie einigen und in ihrer Mehrheit auch politisch und rechtlich praktizieren. Die Folge ist, daß der Katalog der Menschenrechte ständig in Bewegung ist und inzwischen etwa 20 einschlägige Übereinkommen, rechtsverbindliche Verträge und Zusatzprotokolle umfasst. Der aktuelle Stand der Ratifizierung kann hier nachgeschlagen werden.
Soweit ich sehe, muß man vier verschiedene Paradigmen über Menschenrechte und Menschenwürde unterscheiden, die sich sowohl zeitlich, wie auch systematisch gut trennen lassen: Weder war zu allen Zeiten alle Menschen Träger von Würde, noch waren sie alle gleichermaßen Träger von Würde. Und erst nach dem zweiten Weltkrieg entstand die Auffassug, daß der Besitz von Würde moralische oder rechtliche Achtungsansprüche herbeiführt. (Wetz 2005; Tiedemann 2007).
Das erste Paradigma – Leistung:
historisch: In der römischen Antike hatten nur herausgehobene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Würde und zwar aufrund ihrer gesellschaftliche Verantwortlichkeiten, Ämter oder Verdienste für das Gemeinwesen zukamen. Dabei ging es nicht nur individuellen Ruhm bzw. soziale Ehre, sondern auch um eine besondere Dignität dieser Personen, die daraus folgte. Alle anderen Menschen hatten keine Würde und die, die welche hatten, besaßen sie nicht gleichermaßen.
systematisch: Auf Niklas Luhmann (1965) geht die These zurück, daß die Menschenwürde mit einer Leistung verknüpft sei, die nur der erwachsene Grundrechtsträger im sozialen Miteinander allererst erbringen könne und müsse. Jeder Mensch habe im sozialen Miteinander soziale Rollen zu spielen und sich auf diese Weise jene respektvolle Achtung zu verdienen, die eine entsprechende Dignität allererst generiert und bei der Menschenwürde gemeint sei. Hat der Mensch diese Leistung erst einmal erbracht, so gilt es, die eigene Würde sowohl gegen Angriffe von außen als auch gegen selbstverschuldete Einbußen zu verteidigen. Folglich können nicht schon alle Personen gleichermaßen Würde besitzen, sondern lediglich in Abhängigkeit von deren tatsächlichem Erwerb. Menschenwürde kann hier Menschenrechte begründen, aber letzteren fehlt es an Universalität.
Allerdings: Plausibel an Leistungstheorien der Würde nach Luhmann ist jedoch die Annahme, daß das menschenwürdige Leben nicht vom Himmel fällt, sondern realisiert werden muß. Dennoch wäre es falsch, weil übertrieben, daraus zu schließen, Menschen müßten sich ihre Würde durch soziale Leistungen eigenverantworlich verdienen. Völlig kontraintuitiv ist es zudem, daß ein Mensch angeblich nur dann ein bestimmtes Recht haben kann, wenn man es auch aktiv zu nutzen vermag. Wenn z.B. Embryonen oder Wachkomapatienten ihre Rechte nicht ausüben können – warum sie ihnen deshalb absprechen?
Das zweite Paradigma – Werte:
historisch: Das mittelalterliche Christentums hat den antiken Würdebegriff universalisiert und an die Sonderrolle des Menschen als Ebenbild Gottes angepaßt. Folglich hatte nun jeder Mensch als Gattungsangehöriger Würde. Allerdings ergaben sich aus dieser christlich Sonderrolle keine Rechte, sondern ausschließlich Pflichten: religiöse gegenüber Gott und bloß sekundär in Bezug auch auf jene Lebewesen moralische, die nach dessen Ebenbild geformt waren.
systematisch: Für metaphysische Würdekonzeptionen ist die Idee typisch, daß Abstufungen in der Zuschreibung von Menschenwürde verboten sind, weil damit der absolute Wert der menschlichen Lebensform negiert wäre. Alle Menschen haben hier in gleicher Weise Würde und diese ist unantastbar (Geyer 2001) in jedem Zeitpunkt und in jedem Fall auf exakt die gleiche, nichtgraduierbare Weise. Die Menschenwürde ist daher kein immer schon vorhandenes Fundament der Menschenrechte, sondern selbst ein genuines Menschenrecht – neben anderen. Man kann dies entweder so verstehen, dass das Recht auf Würde besonders fundamentale menschliche Interessen schützen soll, die von anderen Menschenrechten nicht schon erfasst sind (Klein 2002). Oder aber die Würde fungiert als grundlegendes Recht auf Rechte (Enders 2004).
Allerdings: Menschen als Gattungsträger einen moralischen Wert zuzuschreiben, ist sicher intuitiv einleuchtend. Aber sie fällt eben nicht zusammen mit dem Haben gleicher Würde. Ein Leben in Würde wäre so beschaffen, daß dieser Wert auch tatsächlich rechtlich, politisch und auch sozial respektiert wäre. Doch genau das ist eben nicht immer der Fall. Insbesondere kann man nicht vom Besitz universeller Menschenrechte auf einen Würdebesitz schließen: Wenn der Mensch immer schon Würde besäße, und zwar alle Menschen gleichermaßen, so könnte niemand sie den Menschen nehmen. Und dann bräuchten die Menschen auch keine Rechte, die genau dies verhindern sollen.
Das dritte Paradigma – Fähigkeiten:
historisch: Von Immanuel Kant kann gesag werden, daß er den durch das Christentum bereits universalisierten Würdebegriff säkularisiert hat. Der Mensch besaß Würde nun nicht mehr als Ebenbild Gottes, sondern insofern er sich als fähig zu Vernunft und moralischer Autonomie erwies – was für die meisten Menschen gilt, aber bis heute die norotischen Sonderfälle erzeugt, bei denen unsere moralischen Intuitionen leicht versagen: Babies, Embyonen, Demente, geistig Behinderte, Betrunkene, Berauschte oder Tiere. Auch Kant folgerte aus dieser Tatsache keine genuinen Rechtsansprüche, sondern lediglich moralische Pflichten.
systematisch: Nicht schon alle Menschen, sondern allein jene, die ganz bestimmte, als moralisch wertvoll erachtete Fähigkeiten haben, besitzen eine Würde. In der kantischen Tradition sind dies vor allem Fähigkeiten zur moralischen Rationalität und zur wechselseitigen Anerkennung von Autonomie (Löhrer 2004) oder weniger anspruchsvoll, die Fähigkeit der Schmerzempfindung oder auch ein bewusstes Überlebensinteresse (Hoerster 2002). Solche Fähigkeitsansätze verstehen Würde weniger als Menschenwürde, sondern eher als Personenwürde. Sobald aber nicht bevor ein Mensch zu einer Person wird, kommt ihm eine nichtgraduierbar Würde. Auch hier hängen Menschenwürde und Menschenrechte nicht unmittelbar zusammen: Menschenwürde ist weder Fundament noch Einzelrecht, sondern die Summe der einzelnen Menschenrechte (Macklin 2003).
Allerdings: Fähigkeiten garantieren sicherlich gute Chancen, ein angeborenes Potenzial zu einem Leben in Würde zu entfalten. Aber daraus allein folgt noch nicht der Bestand und die Einhaltung korrespondierender Schutzrechte. Stattdessen bedürfen Schutz durch Menschenrechte insbesondere jene, die ungeachtet ihrer Fähigkeiten noch nicht oder nicht ausreichend in Würde leben – aus welchem Grund auch immer.
Das vierte Paradigma – Potential:
historisch: Der Holocaust säte unauslöschliche Zweifel an Kants Konzeption. Mit der Vernunft des Menschen konnte ganz simpek irgendewas nicht stimmen, weil Menschen so nie dagewesenen Verbrechen fähig waren. Die Pointe der Nazi-Lager und ihres Totalitarismus für die Frage der Humanität war der grundsätzliche Zweifel daran, daß Menschen ohne besondere Maßnahmen auf ein Leben frei von Gewalt, Erniedrigung und Demütigung hoffen konnten und damit auf ein menschenwürdiges Leben in Achtung und Selbstachtung (Margalit 1997; Pollmann 2005). Die Folge war, daß man die Würde des Menschen ausdrücklich unter rechtlichen Schutz gestellte, da sie eben nicht unantastbar und unverlierbar war. Man verstand, daß die bloße Behauptung, der Mensch habe eine unverlierbare Würde nicht dessen effektiven Schutz, und zwar durch Menschenrechte, bedeutete: Damit war die Idee geboren, daß einerseits Menschenrechte die Menschenwürde schützen und andererseits Menschenwürde immer Menschenrechte begründen.
systematisch: Wenn man einerseits nicht nur Personen, sondern allen Menschen Würde zukommen lassen und andererseits berücksichtigen will, daß die Menschen an dieser Würde nicht zu jedem Zeitpunkt in gleicher Weise partizipieren, dann kann man auf die Idee kommen, daß jeder Mensch als Gattungsangehöriger ein Potential zu einem Leben in Würde hat. Und die Lebensumstände der Menschen müssen eben human genug sein, um eben das zu erlauben. Ein Mittel dazu sind die Menschenrechte (Spaemann 1987). Vor allem die Christen und Metaphysiker wehren sich gegen die daraus folgende Konsequenz, daß die Würde des Menschen nicht länger eine unverlierbare Werteigenschaft sein kann, sondern für eine existenzielle Möglichkeit steht, deren Realisierung auf rechtliche Schutzgarantien und geeignete soziale Lebensbedingungen angewiesen ist, so daß Menschen zwar ihre Würde – wie im Holocaust – verlieren können, nicht aber ihren in Menschenrechten codifierten Anspruch darauf. Die Menschenrechte sind Imperative, die sich zwingend aus der Menschenwürde ergeben (Gewirth 1982; Bielefeldt 2008) und das Ziel haben, diese zu realisieren. Wie im zweiten Paradigma generiert die Idee der Würde hier damit selbst ein Recht auf Rechte.
III. Menschenwürde durch Menschenrechtshierarchie
Das vierte Paradigma der Menschenwürde wird im Moment rechtssystematisch von den meisten Staaten und Rechtsordnungen praktiziert und es hat offenbar den Vorzug, die gültigen Intuitionen seiner Vorgängerparadigmen zu vereinen sowie seine Nachteile zu vermeiden. Und damit kann allein das Potentialparadigma zu Recht den Anspruch erheben, einen Beitrag zum Humanismus zu leisten.
Wir können daher einen Schritt vorwärts im Verständnis des Humanismus machen, wenn die das bisherige Verständnis der Menschen würde in (A) – (C) wie folgt ergänzen:
- (D) Menschenwürde meint den allen und in gleicher Weise zukommenden, unverbrüchlichen Anspruch aller Angehörigen der Gattung Mensch unabhängig von ihren Fähigkeiten und Leistungen ein humanes Leben in Würde ohne Gewalt, Erniedrigung oder Demütigung führen zu können. Daher ist Menschenwürde ein besonderes Recht auf Menschenrechte und Menschenrechte selbst haben diese Menschenwürde zum Ziel.
Eines der Ergebnisse dieses postes ist, daß offensichtlich (C) und (D) verträglich sind: Während in (D) spezifisiert wird, worin Menschenwürde besteht und wie sie Menschenrechte zur Folge haben kann, wird in (C) erklärt, was die Zuweisung einer Würde zu Menschen metaphysikfrei motiviert: Menschen einen moralischen Status in einer Gesellschaft überhaupt erst zu verleihen und auf diese Weise die tragenden Elemente in allen konkret formulierten Moralsystemen einer möglichen Gesellschaft zu schützen.
Wegen (D) vereinfachen sich Diskussionen um die Menschenwürde zum Teil, indem man nach der Reichweite von Menschenrechten fragt: Die bisher bekannten, inhaltlichen Bestimmungen der Menschenwürde beziehen sich auf
- die Fähigkeiten des Menschen zu freier, überlegter Selbstbestimmung z.B. durch Verbot von Folter, Gehirnwäsche, Vergewaltigung oder Sklaverei.
- die Möglichkeiten gleicher Selbstachtung und Selbstwertschätzung z.B. durch das Verfolgung Andersgläubiger oder das Diskriminierungsverbot.
- die notwendigen Existenzbedingungen eines in Selbstbestimmung und Selbstachtung geführten menschenwürdigen Lebens: Ein Leben in bitterster Armut, so daß Hungertod, Verdursten oder Erfrieren drohen, wird ebenso zunehmend als ein menschenunwürdiges Leben bewertet wie schwere und andauernde Formen von sozialer und kultureller Exklusion. Auch ein gewisses Minimum an Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben gilt als notwendige Bedingung eines menschenwürdigen Lebens (siehe: BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9. Februar 2010).
Doch nicht alle Menschenrechtsfragen lassen sich für und unabhängig von einem Verständnis der Menschenwürde klären. Das gilt insbesondere für eine Hierarchie der Menschenrechte, die man benötigt, wenn es darum geht, lokale Konflikte zwischen Menschenrechten zu entscheiden:
- Der Katalog der Menschenrechte ist in den letzten Jahrzehnten beträchtlich ausgeweitet worden: von persönlichen Freiheitsrechten, politischen Partizipationsrechten bis hin zu sozialen, kulturellen und ökonomischen Rechten und ist es absehbar, daß die Einbeziehung von Rechten auf den Gebrauch natürlicher Ressourcen oder auf eine bestimmte Qualität der natürlichen Umwelt folgen werden. Damit wird es sich immer weniger vermeiden lassen, daß z.B. das Recht auf Eigentum in Konflikt gerät mit diesen neuen Grundrechten oder auch möglichen grundlegenden Rechten zukünftiger Generationen. Traditionell wird angenommen, dass es eine Priorität des Schutzes negativer Freiheitsrechte gibt, so daß das Verbot, einen Menschen zu foltern oder auch zu töten, Abwägungen entzogen ist. Dagegen werden im Bereich der positiven Leistungsrechte, z.B. auf Unterstützung in Not, Abwägungen weit eher als möglich angesehen. Auch die Frage, wie sich die Universalität der Menschenrechte mit der Partikularität kultureller und religiöser Vorstellungen verträgt – z.B. im Fall männlicher Genitalverstümmelungen – sowie das Problem der Abtreibung gehören hierher.
Maskulisten, die Humanisten sein wollen, müssen sich über die Reichweite ihrer Menschenwürdekonzeption sowie Kriterien einer Menschenrechtehierarchie klar werden, weil sie die unmittelbare Lenkung politischer Debatten erlaubt. Und es ist ein offenes Problem, glaubwürdige Kriterien zur Etablierung einer Hierarchie der Menschenrechte zu formulieren.
Literatur:
- Bielefeldt, Heiner: Menschenwürde. Der Grund der Menschenrechte, Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. 2008
- Enders, Christoph 2004: Die Menschenwürde als das Recht auf Rechte – die mißverstandene Botschaft des Bonner Grundgesetzes, in: Seelmann, Kurt (Hrsg.): Menschenwürde als Rechtsbegriff, Wiesbaden 2005, pp. 49-61.
- Gewirth, Alan: Human rights: Essays on justification and applications, Chicago 1982
- Geyer, Christian (Hrsg.): Biopolitik, Frankfurt/M 2001.
- Hoerster, Norbert: Ethik des Embryonenschutzes: Ein rechtsphilosophischer Essay, Stuttgart 2002
- Kretzmer, David/Klein, Eckart (eds.): The concept of human dignity in human rights discourse, The Hague/New York 2002
- Löhrer, Guido: Geteilte Würde, in: Angehrn, Emil/Baertschi, Bernard (Hrsg.): Menschenwürde. Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft, 2004,Vol. 63, 159-187
- Luhmann, Niklas: Grundrechte als Institution, Berlin 1965
- Macklin, Ruth: Dignity is a Useless Concept, in: British Medical Journal, 2003, vol. 327, No. 7429, pp. 1419-1420.
- Margalit, Avishai: Politik der Würde, Berlin 1997
- Pollmann, Arnd: Menschenwürde nach Maß, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2005, vol. 53, No. 4, pp. 611-619.
- Seelmann, Kurt (Hrsg.): Menschenwürde als Rechtsbegriff, Wiesbaden 2004
- Spaemann, Robert: Über den Begriff der Menschenwürde, in: ders.: Das Natürliche und das Vernünftige, München 1987, pp. 77-106.
- Tiedemann, Paul: Menschenwürde als Rechtsbegriff, Berlin: BWV 2007
- Wetz, Franz Josef 2005: Illusion Menschenwürde, Stuttgart 2005
[…] kann als soziale Würde oder als Menschenwürde vorkommen und letztere – verstanden als universelle und unverlierbare Ansprüche auf Würde – begründet die Menschenrechte welche wiederum die Menschenwürde zum Ziel haben. Ein […]
[…] sie Menschenrechte als unverbrüchliche Ansprüche, ein Leben in Würde zu führen, so daß Menschenrechte, die Menschenwürde zum Ziel haben. Diese Menschenwürde beruht darauf, mit den Menschen diejenigen biologische Gattung zu schützen, […]
[…] kann als soziale Würde oder als Menschenwürde vorkommen und letztere – verstanden als universelle und unverlierbare Ansprüche auf Würde – begründet die Menschenrechte, welche wiederum die Menschenwürde zum Ziel haben. Ein […]
[…] Lassen sich einige oder alle Aspekte der Menschenwürde in Termen von Respekt formulieren? Wie an dieser Stelle bereits ausführlich diskutiert, kann die Menschenwürde weder auf Werte, noch auf Leistungen oder auf Fähigkeiten von Menschen […]
[…] der, daß das elementarste Gesetz der Moral verletzt wird: das principle of universality, das den Menschenrechten ebenso zugrunde liegt wie dem Humanismus, vom Multikulturalismus und Poststrukturalismus aber abgelehnt wird. Und wer’s nicht kennt: […]