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Die linke Kritik an den Neo-Linken

Seit Längerem gibt es interne Forderungen nach einer Neupositionierung der Linken, die durch ihre Korrumpierung seitens des Postmodernismus und des Neoliberalismus unkontrolliert ins Schlingern geraten ist und von fefe zu Recht Neo-Linke genannt wird. Dieser post schildert noch einmal im Zusammenhang, worum es dabei geht.

I. Politisch Links vs. Politisch Rechts

Woher kommt die Einteilung von „links“ und „rechts“? Wie kann man sie unabhängig von der Tagespolitik verstehen? Linke sind traditionell Vertreter der Aufklärung, deren Themen die Emanzipation und die Autonomiestärkung der Menschheit ist, so daß die Geschichte der Menschheit als eine Entwicklung hin zu Wissen, Freiheit und Frieden verstanden wird. Aufklärer verfolgen eine allgemeine Gleichheitsidee, einen moralischen Universalismus und eine systematische Vorurteilskritik. Häufig, aber nicht notwendigerweise sind sie Humanisten, so daß „links“ cum grano salis für Vorstellungen über die Menschen und ihre Möglichkeiten gesellschaftlich gerechten Zusammenlebens steht, die in einem historischen Prozeß gewonnen wurden. Jeder Vorschlag einer Vorrangstellung gewisser biologischer, sozialer, kultureller, religiöser oder nationaler Gruppen ist daher mit einer politisch linken Position unverträglich. Stattdessen müssen sich alle Machtstrukturen gegenüber dem autonomen Individuum in ihrer Existenz moralisch rechtfertigen, da sie andersfalls illegitim sind: Nur die Herrschaft über sich selbst ist rechtfertigungsfrei. Elitenherrschaft, Meritokratie oder politische Organisationen, die auf einem Führerprinzip beruhen, sind gleichfalls inakzeptabel.

Die Rechten sind traditionelle Gegner der Aufklärung und das normative Ideal einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen ist ihnen suspekt. Folglich gelten nationalistische, chauvinistische und rassistische Einstellungen als politisch rechts. Das Gesellschaftsideal der Rechten kann durch die Vorstellung einer kulturell annähernd homogenen und hierarchisch-elitär organisierten Volksgemeinschaft approximiert werden, in die sich der Einzelne einzufügen und deren Autorität er sich unterzuordnen hat. Traditionell sind Rechte jedoch Vertreter der Gegenaufklärung, was eine notorische Unversöhnlichkeit linker und rechter Politik zur Folge hat.

II. Was machen die Neo-Linken?

Stellt man sich auf einen solchermaßen verstandenen linken Standpunkt, dann ist eine linke Kritik der jüngsten Politik von Parteien, die sich selbst als links positionieren, keinesfalls ein Widerspruch und sie sieht in etwa so aus:

Anstatt wie die traditionellen Linken Menschenwürde, soziale Würde, persönliche und politische Autonomie, gerechte und gleichmäßige ökonomische wie auch politische Partizipation für die alle Menschen einzufordern und zu versuchen, diese wenigstens für eine große Mehrheit auch zu realisieren, versuchen die Neo-Linken heute durch Parteilichkeit zugunsten von Minderheiten angebliche strukturelle Ungerechtigkeiten zu kompensieren, was ihnen unabhängig von ihrer politischen Gestaltungsfähigkeit einen moralischen Mehrwert gibt, der sich medial besonders wirksam ausschlachten läßt.

  • Diese Parteillichkeit der Neo-Linken zugunsten vorgeblich strukturell Benachteiligter kann man als Stumpf einer einstmals universalistischen Moral betrachten, deren Prinzipien zu folgen und daher handlungsleitend gegenüber allen Menschen in gleicher Weise zu sein, unter der Fuchtel eines epistmischen und moralischen Relativismus der Postmoderne keinen Sinn mehr macht. Vielmehr scheint es irgendwie böse zu sein, wenn wir in allen Kontexten alle Menschen gleich behandeln, denn schließlich sind alle Menschen unterschiedlich: Nur diversity macht schließlich wirklich frei. Und wenn man kein moralisches Recht mehr hat, diese Unterschiede zu mißachten, so kann das nichts anderes bedeuten, als die Abkehr von der aufklärerischen Idee, daß alle Menschen nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch in Sachen Partizipation, Autonomiestreben, Menschen- und sozialer Würde gleich sind. Denn nun dürfen sie nur noch insofern eine soziale, politische oder sexuelle Würde beanspruchen, als sie sie sich vorher verdient haben – das ist ein neoliberaler Standpunkt – oder durch Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse zugesprochen bekommen.

Dieser moralische Mehrwert der Minderheitenpolitik macht es für kleinere, sich selbst als links verstehende Parteien interessant, sich zu einem Teil des politischen establishments zu machen, indem man sich ganz im Sinne der linken Tradition für die Schwachen der Gesellschaft einsetzt: Zwar ist man selbst politisch visionslos, aber man bindet nicht nur die Verlierer und Randgruppen einer Gesellschaft in einen institutionalisierten Prozeß politischer Sichtbarmachung (das ist das anderes als politische Partizipation) ein, was natürlich die bestehenden politischen Verhältnisse erheblich stabilisiert, man gibt dem Bündnispartner establishment auch diejenige moralisch weiße Weste, die medial entscheidend ist. Und dieser moralische Mehrwert in Form vergeltender Gerechtigkeit ist auch für diejenigen nutzbar, die sich mit den Neo-Linken solidarisieren.

  • Für Konservative und Neo-Liberale ist das sogar der einzige Weg, sich diese Art von moralischem Persil-Schein zu erkaufen, denn eine jetzt bei den Neo-Linken beobachtbare Politik hätte man den Rechten niemals abgekauft.

Und das bedeutet, daß hier beide Seiten von einer Minderheitenpolitik profitieren. Manche nennen das eine Kooperation, die zwischen Linken und Rechten – wie dargelegt – eigentlich unmöglich ist und halten das den Neo-Linken vor. Mir kommt es jedoch eher so vor, als wenn beide Seiten einander sehenden Auges nützlich sind, und die jeweils andere Seite dulden, ohne sich dazu verabredet zu haben.

III. Entpolitisierung durch gesellschaftliche Fragmentierung

Die Nebenfolge der generellen Solidarisierung mit Minderheiten ist, daß die Gesellschaft auf einer zusätzlichen Achse fragmentiert und dadurch weniger zu kollektivem, demokratischen Handeln fähig ist, welches ja immer auf Lobbyismus oder Mehrheitsbildung und damit auf Solidarität angewiesen ist. Die Frage dabei ist offensichtlich: cui bono?

  • Für die politischen Elitien ist jede zusätzliche Fragmentierung angenehm, insofern sie daruch weniger von einem erkennbaren Volkswillen belästigt werden und deutlich unabhängiger vom Volk Politik machen können. Denn wie in einem unbeschränkten und freien Markt, der immer den stärksten Wirtschaftssubjekten am meisten nützt, wird der Charakter einer Demokratie als politisches Lobbysystem durch die angeblich wünschenswerte und freiheitverschaffende Diversität verstärkt: Je kleiner die Gruppen sind, die sich untereinander einig sind und je uneiniger sich die Gruppen sind, desto weniger können sie politisch ausrichten. Wer daher bereits auf irgendeine Weise irgendwo etalbiert ist, wird stärker, einfach weil die politische Konkurrenz schwächer wird.

Für Konservative, Rechte oder Neo-Liberale ist das alles natürlich wie eine rauschende Party, insofern sie die Linken auf diese Weise erstaunlich wirkungsvoll ausmanövrieren und zweitens auch die traditionell linke Medienlandschaft, die z.B. der CDU 50 Jahre lang eine schlechte Presse beschert hat, endlich mal für sich einspannen können.

  • Auch die Bereitschaft zur Solidarität der einzelnen Individuen gegenüber der Gesellschaft als Ganzes und damit über die eigene soziologische Klasse hinaus – die im Extremfall aus genau einem Individuum besteht, daß sich z.B. aufgrund seiner sexuellen Vorlieben als irgendwie unikates Geschlecht und damit völlig vereinzelt fühlt – wird abnehmen: Bye bye Sozialstaat. Das hat sich der Neoliberalismus immer gewünscht und die Linken haben das immer gefürchtet.

Daher war es auch nicht verwunderlich, daß der BREXIT zu einer zusätzlichen Fragmentierung der Gesellschaft genutzt wurden, imdem junge und alte Menschen in einen weiteren, lediglich eingebildeten, soziologischen Klassenkonflikt gestürzt wurden. Das darf man sich nicht als eine direkte Steuerung oder Einflüsterung vorstellen. Aber es wurden diejenigen unterstützt, die von selbst auf diese idiotische Idee kamen.

IV. Das Rätsel der SPD

Für kleinere Parteien, wie die Linke, die Piraten oder die Grünen mag diese Erklärung näherungsweise einleuchten. Aber was macht die SPD, die schon immer eine linke Partei sein wollte, aber irgendwie nie dazu kam, weil sie in den letzten 100 Jahren immer nur von rechts unter Druck stand? Sollen wir aus all dem folgern, daß sie sich selbst für eine „kleine politische Partei“ hält? Scheitert nicht die ganze, obige Erklärung am Verhalten der SPD?

Meiner Meinung nach ist das nicht der Fall. Denn fragen wir mal andersrum: Was würde es die SPD kosten, sich wie eine „große politische Partei“ zu benehmen und sich der o.g. Strategie und damit der linken Kritik an den Neo-Linken zu entziehen?

  • Die SPD müßte sich mit den mainstream-Medien anlegen, die nicht mehr unabhängig, sondern via GEZ staatsfinanziert und korrumpierterweise regierungshörig geworden sind. Und man müßte vor allem eine altenative, politische Vision haben, die kraftvoll genug wäre, Mehrheiten im Volk zu mobilisieren und an die sich immer auf der Suche nach Wählern befindliche SPD dauerhaft zu binden. Doch – ups – diese Mehrheiten gibt es ja gar nicht mehr. Sie haben sich aufgelöst unter dem Verdikt der kulturellen und sexuellen Vielfalt, die ja – befeuert vom postmodernen Relativismus – moralisch angeblich so unersetzlich ist. Und einen universell gültigen, moralischen Kompaß, der die postmoderne Moral der Diversifizierung aufhalten könnte, gibt es auch nicht mehr.

Damit bliebe der SPD offenbar nur übrig, auf das angeblich überwundene Paradigma der Moderne zurückzugreifen – was Humanisten übrigens laufend tun. Und dann würde eine solche SPD, die die von den neo-linken dominierten Massenmedien gegen sich aufgebracht hat, die sich gesellschaftlich lächerlich gemacht hat, weil sie rückwärtsgewandt das Paradigma der Moderne wiederbeleben will, und die sich postmodern-moralisch unmöglich gemacht hat, zu genau der Partei werden, die sie auf keinen Fall sein will – zu einer kleinen Partei. Und vor allem: Nichts hätte sich durch ein weiteres Abrutschen der SPD in politischer Hinsicht geändert.

Also macht die SPD das Einzige, was ihr übrig bleibt: Sie bleibt folgsam in der großen Koalition und damit beim establishment – um im Spiel zu bleiben, um weiterhin informiert zu werden und um weiterhin zu den politischen Akteuren zu gehören, anstatt den Weg in die Diaspora anzutreten. Mit anderen Worten: Die SPD wartet pragmatisch auf eine Gelegenheit, zu der sie eine Veränderung zu einem günstigeren Preis bekommen kann.

Wie realistisch das alles ist und ob die SPD ihren Pragmatismus auch durchhalten kann, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, daß der Neoliberalismus auch in Sachen SPD sein Ziel bereits erreicht hat: Es ist für die SPD alternativlos geworden, so weiter zu machen wie bisher und das establishment zu stabilisieren. Denn dem Neoliberalismus selbst ist es letztlich nicht wichtig, recht zu haben. Daß er mächtig ist, reicht ihm vollkommen aus.


6 Kommentare

  1. kardamom sagt:

    Die SPD müßte sich mit den mainstream-Medien anlegen, die nicht mehr unabhängig, sondern via GEZ staatsfinanziert und korrumpierterweise regierungshörig geworden sind.

    Die SPD sitzt doch in all den Aufsichts-Gremien, die den öffentlichen Rundfunk kontrollieren; und die SPD übt doch mit ihren Beteiligungen an diversen Zeitschriften-Konzernen bereits Einfluss auf die Mainstream-Medien aus.

    • Woher weißt du das?

      Und selbst, wenn sie das tut, und gilt, daß das wirklich ausreicht, um die Publikationslandschaft wirklich auf Kurs zu bringen, ist es das eine unrealistische Sicht auf eine Partei, die nicht nach dem Führerprinzip organisiert ist. Auch in der SPD springen nicht alle, wenn einer beschließt, daß man was machen müßte.

      • kardamom sagt:

        Eine Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Druck-_und_Verlagsgesellschaft

        Ansonsten per Suchmaschine: „SPD Medienbeteiligungen“

        Aber im Prinzip hast du recht; die Abgeordneten einer Partei, die per Koalitionsvertrag schon die wichtigsten Eckpunkte geregelt hat, sind nicht mehr frei in ihrem parlamentarischen Entscheidungen. Das Damoklesschwert des Koalitions-Bruches verlagert die Entscheidungen in Ausschüsse und Kommissionen; wer in Ausschüssen und Kommissionen sitzt, wird von der Parteiführung bestimmt.

        Bundestagsdebatten sind nur noch ein Schaulaufen und keine Prozesse politischer Willensbildung.

  2. […] linke Kritik der Neo-Linken ist bereits an dieser Stelle referiert worden. Sie beruht auf einer Sichtweise des Neoliberalismus, die hier dargestellt wurde, so daß dieser post wenig verständlich ist für alle, die nicht beides auf irgendeine Weise […]

  3. […] Unabhängig vom gegenwärtigen Sprachgebrauch sind bezogen auf das politische Spektrum die Rechten die Gegner der Aufklärung: […]

  4. […] der laufenden Debate um die Einfluß von Postmoderne, Neoliberalismus und Feminismus [1, 2, 3] auf die politische Linke gibt es einen nächsten Schritt, den wir in diesem post dokumentieren. […]

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